Wenn von Stahlrohren (oder genauer: Stahlbau-Hohlprofilen) die Rede ist, dann stehen meist die Kanten im Fokus. Aber warum sind diese so wichtig und wie kann das nächste Projekt durch die Berücksichtigung der Kanten noch weiter verbessert werden?
Die meisten Stahlbau-Hohlprofile – unabhängig davon, ob sie in Baukonstruktionen oder Maschinenbau-Anwendungen verwendet werden – sind entweder quadratisch oder rechteckig. Das liegt nicht daran, dass diese Formen tragfähiger sind als kreisförmige Rohre, sondern daran, dass deren Nutzung konstruktiv deutlich einfacher ist. Flache Seiten erleichtern die Verbindungen mit anderen Elementen. Oft passen sie auch einfach optisch besser in die Entwürfe. Aber: Quadratische und rechteckige Hohlprofile haben natürlich vier Kanten. Und genau hier werden die Qualitätsunterschiede von Stahlrohren deutlich sichtbar.
Die Unterschiede lassen sich grob so zusammenfassen:
a) Form der Kanten oder Profilquerschnitt
b) Gefüge, Homogenität und technische Eigenschaften des Endprodukts
In diesem Blog-Artikel erkunden wir die verschiedenen Arten von Hohlprofilen und erklären, wie die beiden oben genannten Faktoren beeinflusst werden und was das für die Nutzung von sowie die Konstruktion mit Stahlbau-Hohlprofilen bedeutet.
Einfache kaltgeformte Hohlprofile werden in der Regel hergestellt, indem zunächst ein flaches Stahlband zu einer Kreisform gebogen wird. Anschließend werden die Bandkanten im HFI-Schweißverfahren miteinander verbunden – ein Rundrohr entsteht. Dieses Rohr wird dann durch einen Satz von Profilrollen geführt, die ihn in eine quadratische oder rechteckige Form umformen. Betrachtet man nun die Kanten, so ergeben sich daraus zwei sehr wichtige Auswirkungen:
1. Da das Profil im kalten Zustand geformt wird, sind hohe Umformkräfte nötig, die nur bis zu einem gewissen Grad aufgebracht werden können. Somit ist der Kantenradius im Vergleich zu warm umgeformten Profilen in der Regel größer.
2. Doch selbst wenn der Kantenradius vergleichsweise groß ist, entstehen durch die Kaltumformung Spannungen im Stahl. Die auftretende Kaltverfestigung geht mit einer erhöhten Sprödigkeit bzw. einer verringerten Duktilität einher, was zu anderen Härtewerten. an der Kante führt.
Bei echten warmgefertigten oder normalisierten Stahlbau-Hohlprofilen dagegen können die Kantenradien problemlos enger ausgebildet werden. Diese werden zunächst ebenfalls als Rundrohre aus Bandstahl geformt. Anschließend werden die Hohlprofile allerdings auf Normalisierungstemperatur (über 850 °C) erwärmt – die endgültige Formgebung erfolgt dann im glühenden Zustand. Bei dieser hohen Temperatur ist es deutlich einfacher, das Rohr zu einem präzisen Quadrat oder Rechteck zu formen. Darüber hinaus werden Kornstruktur und Härte im Kantenbereich nicht beeinflusst – unabhängig davon, wie „eng" das Kantenprofil ist.
Als weitere Variante gibt es Hohlprofile, bei denen ein hybrides Verfahren angewendet wird. Dabei wird das Quadrat oder Rechteck in kaltem Zustand geformt und anschließend erwärmt, ohne es auf die volle Normalisierungstemperatur zu bringen. Auf diese Weise gefertigte Rohre haben große Kantenradien, weil sie ja kaltumgeformt hergestellt werden. Beim anschließenden Glühen wird nur ein Teil der Spannungen abgebaut und das Gefüge bleibt unterhalb der Normalisierungstemperatur ungleichmäßig. Daher gibt es im Profilquerschnitt Bereiche mit unterschiedlicher Härte, insbesondere im Kanten- und Schweißbereich.
Insgesamt gibt es also drei Vorgehensweisen bei der Herstellung von Stahlbau-Hohlprofilen. Etwas verwirrend hierbei ist, dass das zweite und dritte Verfahren innerhalb der Norm EN 10210 spezifiziert werden, aber nur die vollständig normalisierte Variante alle Vorteile bietet. Dies wird durch den Lieferzustand „NH", beispielsweise in S355NH, gekennzeichnet.
Kantenradius | Kantengefüge | Norm | |
Kaltgeformt | groß | Eigenspannungen, unterschiedliche Kornstruktur und Härte | EN 10219 |
Spannungsarmgeglüht | groß | Teilweise spannungsreduziert, Gefüge ungleichmäßig | EN 10210 S355J2H |
Normalisiert | eng | Normalisiert, durchgehend gleiche Eigenschaften und gleichmäßiges Gefüge | EN 10210 S355NH |
Jetzt wissen wir mehr über die Auswirkungen der verschiedenen Herstellungsvarianten von Stahlbau-Hohlprofilen. Aber warum ist das wichtig? Beginnen wir mit dem Kantenradius.
Man könnte meinen, dass es bei einem „engen" Kantenradius rein um Ästhetik geht. Es gibt allerdings auch technische Vorteile.
Zunächst einmal steckt in einer engen Kante mehr Stahl als in einer mit großem Radius. Dadurch ergibt sich eine größere Querschnittsfläche. Ein quadratisches Hohlprofil mit den Abmessungen 120x120x8 mm hat beispielsweise als vollständig normalisiertes Hohlprofil eine um drei Prozent größere Querschnittsfläche als ein kaltgeformtes oder spannungsarmgeglühtes Hohlprofil. Das Trägheitsmoment und das Widerstandsmoment des Profils und somit auch die Beanspruchbarkeit sind sieben Prozent höher.
Ein kleiner Kantenradius maximiert zudem die ebene Oberfläche auf jeder Seite des Profils. Dies mag zunächst unwichtig erscheinen, aber am gleichen Beispiel eines 120x120x8mm-Profils wird die flache Fläche auf jeder Seite eines vollständig normalisierten Hohlprofils ungefähr 22 Prozent größer sein als bei einem kaltgeformten oder spannungsarmgeglühten Profil. Dies ermöglicht eine viel größere Flexibilität bei der Ausführung von Anschlüssen und Schweißverbindungen.
Betrachtet man jedoch die Auswirkungen der Herstellmethode auf das metallische Gefüge, so sind diese noch weitreichender. EN 1993-1-8 Abschnitt 4.14 (Norm für die Bemessung von Anschlüssen von Stahlbauten) berücksichtigt die Art der Herstellung und gibt sehr spezifische Empfehlungen sowohl für kaltgeformte als auch für spannungsarmgeglühte Hohlprofile. Ein kaltgeformtes Hohlprofil darf nicht innerhalb eines Abstands von 5T (T = Wanddicke) von der Kante geschweißt werden – es sei denn, es können bei der chemischen Zusammensetzung strenge Anforderungen erfüllt werden. Die Norm EC 3-1-8 erkennt an, dass voll normalisierte Hohlprofile über den gesamten Querschnitt ein homogenes Gefüge und einheitliche Härtewerte haben, sodass diese auch im Kantenbereich ohne weiteres geschweißt werden können.
Wie bereits erwähnt, ist jedoch Vorsicht geboten, da warmgefertigte Hohlprofile, die durch Spannungsarmglühen hergestellt werden (die nur als S355J2H bezeichnet werden) eine gewisse Inhomogenität beibehalten und daher unter diesem Gesichtspunkt genauso behandelt werden sollten wie kaltgeformte Profile.
Es gibt also einen Grund dafür, dass wir im Gespräch über Hohlprofile immer wieder bei den Kanten landen. Kanten sind wichtig. Enge Kanten sehen schön aus, aber sie führen auch zu einer höheren Tragfähigkeit und bieten konstruktive Vorteile bei der Ausführung von Anschlüssen. Vollständig normalisierte Hohlprofile haben eine gleichmäßige Gefügestruktur, sodass sie im Gebrauch eine ausgezeichnete Leistung erbringen. Kaltgeformte Hohlprofile, auch solche, die spannungsarmgeglüht sind, haben eine inhomogene Kornstruktur mit unterschiedlichen Festigkeiten und Härtewerten – insbesondere im Kantenbereich.
Mit vollständig normalisierten Hohlprofilen haben Sie die Vorteile auf Ihrer Seite: [EN 10210 S355NH], oder die Marke Celsius® von Tata Steel.